Günter Brus
* 1938 in Ardning, A
Kommende Ausstellung: "Sichtweisen, Sichtweiten" | ab 22. September 2023
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„Kaspar Hauser„ | Günter Brus | Günter Brus |
Günter Brus
* 1938 in Ardning, A
Günter Brus. Sichtweisen Sichtweiten
Unter dem Titel „Sichtweisen Sichtweiten“ zeigt die Galerie Sommer eine beeindruckende Werkschau von Günter Brus, die von seinen ersten Arbeiten Ende der 1950er-Jahre bis zu den neuesten Blättern, die aus der Konsequenz des Corona-Lockdowns entstanden sind, reicht. Gerhard Sommer begleitet den Künstler, der im September seinen 85. Geburtstag feiert, mittlerweile seit 25 Jahren und hat über die Jahre nicht nur zahlreiche wichtige Werke erwerben und vermitteln können, sondern auch rares Archivmaterial gesammelt, das die Grundlage für jede Kunstgeschichte legt. Die Ausstellung versteht sich daher nicht nur als Rückblick auf 65 Jahre künstlerisches Schaffen, sondern auch als einmaliger Einblick in die Schaffensprozesse von Brus und sein soziopolitisches Umfeld. Zahlreiche Publikationen, Editionen, Drucksorten, Plakate und Zeitungsausschnitte spiegeln den jeweiligen Handlungsspielraum des Künstlers, die raren Möglichkeiten von Öffentlichkeit und die Resonanz seiner Kunst in der Gesellschaft.
Günter Brus wird im Anschlussjahr 1938 in Ardning geboren und wächst nach eigenen Aussagen in zwei Wirtshäusern in Stainz und Mureck auf. Eine Bekannte der Familie erkennt sein zeichnerisches Talent und überzeugt die Eltern, ihm den Besuch der Kunstgewerbeschule in Graz zu ermöglichen, um Werbegrafiker zu werden. Ohne eine Aufnahmeprüfung ablegen zu müssen, wird er alleine durch seine Zeichenmappe an der Akademie für angewandte Kunst aufgenommen. Im Wien der späten 1950er-Jahre wird der gebürtige Steirer zunächst mit Skepsis und Unverständnis begrüßt, um in den nächsten Jahren durch Ablehnung, Repression und Verfolgung wieder vertrieben zu werden. Aus der gestischen Malerei des Informel kommend legt er den Fokus ganz auf die körperliche Geste und findet zur entscheidenden Akzentverschiebung vom fertig gestellten Objekt zum ephemeren Geschehen im Raum, das mit Foto und Film dokumentiert wird. Seiner ersten Aktion „Ana“ (1964) folgen so ikonische Arbeiten wie die „Selbstbemalung“ (1965) oder der „Wiener Spaziergang“ (1965). Weiß bemalt geht er mit jenem für ihn charakteristischen schwarzen zuckenden Strich gleichsam längs geteilt als lebendes Bild vom Heldenplatz in Richtung Stephansplatz und wird bereits auf halbem Weg von einem Polizisten angehalten. Er erhält eine von vielen Strafanzeigen.
Mit Otto Mühl begründet Brus 1966 das „Wiener Institut für Direkte Kunst“ unter dessen Schirmherrschaft sie drei „Totalaktionen“ durchführen, die sie durch diverse selbstgedruckte Flugblätter ankündigen, die in der Ausstellung zu sehen sind. Im Laufe des Jahres 1967 entwickelt Brus sein Konzept der „Körperanalysen“, bei dem er elementare existenzielle Erfahrungen thematisiert. Er verzichte auf klassische Künstlermaterialien um ausschließlich mit seinem Körper und dessen Funktionen zu arbeiten: „Mein Körper ist die Absicht, mein Körper ist das Ereignis, mein Körper ist das Ergebnis.“ Es gibt keinen Verfremdungseffekt mehr, die Erfahrung ist unmittelbar und direkt. Der gemalte Strich auf dem Körper wird zum Schnitt in sein Fleisch, die Farbe wird ersetzt durch Körperflüssigkeiten.
Als Brus am 7. Juni 1968 im Rahmen der Veranstaltung „Kunst und Revolution“ im Hörsaal 1 des neuen Institutsgebäudes der Wiener Universität eine Körperanalyse durchführt, kommt es zum Skandal. Brus wird zum erklärten Feindbild der Boulevardpresse und zum „meistgehassten Österreicher“ erklärt. Es folgt eine mediale Hetzkampagne und Diffamierung, die Peter Weibel dazu veranlasst von „Pogromstimmung“ zu sprechen. Brus wird angeklagt und wegen „Herabwürdigung österreichischer Symbole“ und „Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit“ zur Höchststrafe von sechs Monaten „strengem Arrest“ verurteilt. Er flieht mit seiner Frau Anna nach Westberlin, wo u.a. die Streitschrift „Unter dem Ladentisch“ entsteht, in der er die Zeitungsartikel, Straferkenntnisse, psychiatrischen Gutachten und Drohbriefe abdruckt und verarbeitet. Im Aktionsraum 1 in München führt Brus 1970 seine letzte Aktion durch: die „Zerreißprobe“. Die Aktion selbst besteht aus mehreren kurzen „dramatischen Situationen“, Psycho-Dramoletten, wie Brus sie nennt. Er schneidet sich mit der Rasierklinge, uriniert auf die Wunde, näht diese selbst zu, ritzt sich den Hinterkopf auf, schlägt sich mit der Peitsche, wirft sich zu Boden und bleibt irgendwann erschöpft liegen. Am Höhepunkt der Aktion sind die Extremitäten des kahlgeschorenen Künstlers in Schlingen, an deren Enden er selbst zieht, während von der Wunde am Hinterkopf das Blut seinen Rücken herunterrinnt. Der schwarze Strich aus dem „Wiener Spaziergang“ ist zur roten Blutspur geworden.
In Berlin gründet Brus gemeinsam mit Muehl, Gerhard Rühm und Oswald Wiener, der 1969 ebenfalls nach Berlin geht, aus Protest gegen die erlittenen Repressionen die „Österreichische Exilregierung“. Ihr publizistisches Zentralorgan wird „Die Schastrommel“, die später in „Die Drossel“ umbenannt wird. Diese Künstlerbücher zeigen jedoch nicht nur eine kämpferische Protesthaltung gegen erlittenes Unverständnis und Unrecht, sondern auch wie eine Publikation zu einer Plattform für avantgardistisch arbeitende Künstler werden kann. Die jeweiligen Sonderausgaben mit Spezialeinbänden und beigefügten Originalwerken, für die es damals noch keine wirkliche Sammlerschaft gab, spiegeln nicht nur Idealismus und Detailliebe wieder, sondern auch die Suche nach alternativen Präsentationsmöglichkeiten, da sich die Galerien nur beschränkt interessiert zeigen. Auch die legendären Editionen von Armin Hundertmark passen zu dieser Auffassung, mit dem Do-it-yourself-Prinzip ein neues Publikum zu erreichen. Aus der Zusammenarbeit mit Hundertmark gehen einige der bemerkenswertesten Editionen der Zeit hervor, bei denen Brus im Wesentlichen dem Prinzip treu bleibt, für jede Ausgabe ausschließlich Originalzeichnungen zu verwenden. Mit der Edition „Der Balkon Europas“ eröffnet sich für ihn zudem ein neues künstlerisches Prinzip, denn er erkennt in der Kombination von Schreiben und Zeichnen ein Potenzial, das er zum Genre der Bild-Dichtung weiterentwickelt. Die Bild-Dichtung ist eine Synthese von Sprache und Bild, bei der sich die beiden Ausdrucksformen nicht bedingen, sondern ein dialektisches und kontrapunktisches Neben- und Miteinander führen. Der Text gibt keine Erklärungen zum Bild ab, doch ist er reich an sprachlichen Bildern und Metaphern, die Zeichnung stellt keine Illustration des Geschriebenen dar, obgleich in ihr ebenso poetisch erzählt wird.
Seit den 1970er Jahren entstehen nicht nur umfangreiche Bild-Dichtungen, sondern auch tausende von Einzelzeichnungen die ein Fortleben körpernaher und existenzieller Themen zeigen. Es handelt sich um visionäre Darstellungen, die durchdrungen sind von einer Atmosphäre des Unheimlichen und Schaurigen und die oftmals in romantischen Traditionen gründen. Die Zeichnungen verschmelzen Reales und Imaginäres, Beobachtungen des Alltags und Reflexionen des Unbestimmten, momenthafte Ereignishaftigkeit mit zeitloser Dauer, schonungslose Radikalität mit subtiler Poesie, höchste Luzidität mit abgründiger Dunkelheit. Trotz der mitunter gnadenlosen Härte kommt doch auch der Humor nie zu kurz, der sich in metaphorischen Darstellungen, märchenhaft-grotesken Gestalten, gezeichneten Bildwitzen und natürlich zahllosen Wortspielen, Kalauern und Schüttelreimen offenbart. Hier zeigt sich der Künstler wie man ihn sonst wohl am ehesten privat erlebt: als genauer Beobachter, scharfzüngiger Kommentator, geistreicher Gesprächspartner und humorvoller Geschichtenerzähler. Der Pionier der Körperkunst gilt hat ein Oeuvre von geschätzten 40.000 Zeichnungen geschaffen. Ein Ausschnitt seiner weiten Sichtweisen ist ab 22. September in der Galerie Sommer zu sehen.
Text: Roman Grabner, Universalmuseum Joanneum
Über seine neue Arbeiten
(Text von Roman Grabner anlässlich der Ausstellung "Ich war einmal ein Baum" 2021 in der Galerie Sommer )
Günter Brus hat schon vor über einer Dekade verkündet, dass er sich ausgezeichnet hat und damit in gewohnt doppeldeutiger Weise zum Ausdruck gebracht, dass er einerseits zum Rezipienten zahlreicher Ehrungen und Preise geworden ist und sich andererseits bei ihm auch das Gefühl eingestellt hat, dass er sich leergezeichnet hat. Bei einem Oeuvre von über 30.000 Zeichnungen ist dies durchaus nachvollziehbar. Als „Einfachbegabter, der doppelt sich äußert“ (Brus) hat er sich seither fast ausschließlich dem Schreiben gewidmet, das er in guter österreichischer Tradition vornehmlich in Cafés und anderen Lokalen betreibt.
Als am 16. März 2020 der erste Lockdown in Österreich in Kraft trat, wurden nicht nur sämtliche Bars, Cafés und Restaurants in Österreich geschlossen, sondern eine allgemeine Ausgangsbeschränkung wurde wirksam. Das Betreten öffentlicher Orte war nur mehr in Ausnahmefällen erlaubt. Von einem Tag auf den anderen sollte der Künstler sein Refugium nicht mehr verlassen und durfte auch nicht mehr in jene Etablissements, die zentrale Schaffensstätten seiner Literatur sind. Was tun? Günter Brus kehrte wieder in sein Atelier zurück und begann zu zeichnen. Der Obsession seines Wesens entsprechend, entstanden dabei nicht nur einige Blätter, sondern alleine im Jahre 2020 hat der Künstler rund 800 Zeichnungen mit Tusche und Wasserfarben angefertigt. Das Zurückgeworfensein auf seine unmittelbare Umgebung, das Ausharren im eigenen Heim, das Gefühl des Festsitzens haben zu einer neuen Schaffensblüte geführt, mit der wohl niemand mehr gerechnet hat, am allerwenigsten wohl der Künstler selbst.