Peter Wechsler

1951
geboren in Zürich/Schweiz
1971–1974
Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien, Meisterklassen für Malerei Rudolf Hausner und Walter Eckert
1971–1975
Zeichnungen und Tiefdruckgrafik, vornehmlich Kaltnadelradierungen
1976–1990
Temperamalerei und Ölmalerei; es entstehen teils großformatige Arbeiten unter dem Einfluss des amerikanischen Expressionismus
ab 1993
Rückgriff auf die grafischen Arbeiten der 1970er Jahre; Entwicklung der Strukturzeichnungen. Es entstehen Bleistiftzeichnungen, teilweise großformatig.
ab 2008
Arbeiten mit Glas (in Kooperation mit der Glasmalerei Geyling Wien). Glasplatten werden mit Diamantnadeln bezeichnet (gestippt) und anschließend mit Emailfarben bearbeitet. Dreidimensionale Objekte entstehen einerseits durch Stapelung dieser Glasplatten in Rahmen, andererseits durch Verschmelzen der emaillierten Glaslagen.
ab 2012
vermehrt Arbeit in der Technik des Tuschpinsels auf Papier.
seit 1986
Ausstellungen in Österreich, Deutschland und der Schweiz.
Arbeiten in öffentlichen Sammlungen wie Albertina Wien, Staatsgalerie Stuttgart, Kunsthaus Zürich.


Vom Zeichnen mit der Hand
Am Beginn meiner Arbeit wähle ich Größe und Papierqualität der zu bezeichnenden Bildfläche aus. Dann entscheide ich mich für das Format der geplanten Zeichnung: Hoch- oder Quer- Format. Die ausgewählten Papiere kann ich unbehandelt oder grundiert verwenden. Meistens sind sie von robuster Beschaffenheit; oft sind es Aquarellkartons mit rauher, griffiger Oberfläche. Um die Papieroberfläche für einen langen, das Material stark beanspruchenden Arbeitsprozeß widerstandsfähiger zu machen und auch um dünnere Papiere zu festigen, verwende ich eine Grundierung, die weiß oder farbig sein kann.
Möchte ich auf einem Farbgrund zeichnen, so mische ich der Grundiermaße Pigment bei oder bestreiche die ungrundierte Fläche direkt mit einer Farbe oder ich grundiere das zu bezeichnende Blatt weiß und trage dann die Farbe auf die grundierte Zeichenfläche auf.
Die zur Anwendung kommende Farbe stellt ein zusätzliches Element der Formung dar. Vertieft der farbige Grund die Bildwirkung? Wird durch die Farbe die räumliche Dimension, die Raumtiefe der Zeichnung erhöht? In wie weit ergänzen sich Linien und Farben, oder stoßen sich ab? Wird hier Graphisches Malerischem gegenübergestellt?
Die zur Anwendung kommenden Bleistifte- meistens Fallminen- sind hart, sie ermöglichen präzise Linienführungen. Ähnlich den Radiernadeln, die Furchen in die Metalloberfläche graben, so zeichnen die harten Minen Prägespuren in die Papieroberfläche. Jede einmal gezogene Linie ist wichtig und soll in der vollendeten linearen Struktur als individuelles Element präsent bleiben. So überdeckt eine neue, hinzukommende Linie nicht einfach die darunterliegende Linie, sondern bemüht sich, diese und die darunter liegende Struktur transparent zu lassen.
Ich verwende unterschiedliche Papierformate. Unabhängig von der Größe des Formates, stelle ich mich auf einen lange andauernden Arbeitsprozess ein, das bedeutet, daß auch kleinere Blätter viel Zeit beanspruchen. Diese lange Arbeitsdauer ist Voraussetzung für das sich allmähliche Herauskristallisieren der Strukturen. Dieser Einstellung des langsamen Zeichnens scheinbar entgegengesetzt- diesem geduldigen Warten auf langsam sich bildende Formung, welches Warten ja zu einer Hemmung, Blockierung der Spontaneität führen kann- werden die ersten Linien locker, frei und ungebunden gesetzt.
Bereits beim Zeichnen der ersten Linie, respektiere ich die Rahmenbedingungen der Zeichenfläche: Die Begrenzungen oben / unten, links / rechts. Zwar sind noch alle Richtungen für die Zeichenhand offen; dennoch bedeutet die Festlegung auf den gegebenen Rahmen, auf das gegebene Format, innerhalb derer das Zeichengeschehen stattfindet, eine einschneidende formale Beschränkung. Mit sich entwickelnder Arbeit erhalten die Ränder der Zeichnung, zusehends formale Bedeutung. Das Gestalten dieser Randzonen kann sehr anspruchsvoll werden, ein Scheitern an diesen Stellen bedeutet meistens ein Scheitern der Arbeit überhaupt.
Die Hand zeichnet, das Auge beobachtet: Während des Zeichenvorganges stehen Hand und Auge in symbiotischer Abhängigkeit. Es ist mir wichtig, ständig die Position der zeichnenden Hand zu verändern, auch den von ihr ausgeübten Druck, was folglich die Motorik der Hand und somit die Ausformung der Linien beeinflußt. Nur so, - durch das Bemühen, bevorzugte Handhaltungen zu vermeiden, kontinuierlich die Stellung der Zeichenhand zu ändern, entgehe ich der Gefahr eines Automatismus, der mechanisch die Fläche mit einem Allover, einem beliebigem Strichmuster überziehen würde. Anfangs sind die Bewegungskurven der zeichnenden Hand locker, großzügig. Später zeichne ich mit intensiverem Druck, die Bewegungsradien werden beim Erzeichnen der Details kleinräumiger. Bisweilen erlebe ich Momente der glücklichen Hand: Scheinbar vor dem Augenblick tanzt die Hand in Formenvollendenden Rhythmus
Ein unermüdlicher Drang der Zeichenhand zwingt diese, jede Stelle auf der Bildfläche abzutasten, alles zu berühren. Ein ständiger Antrieb zum Weiterzeichnen geht einerseits von der Gestik der Hand aus, von einer motorischen Getriebenheit, andererseits von einem graphischen Reiz, einzelner, mehrer Linien, die zum Weiterzeichnen auffordern und das Auge zum kontinuierlichen Beobachten auffordern. Dieser Reiz animiert dazu, dem Gefüge der bereits gezeichneten Linien noch mehr Energie, Spannung aufzuladen- in Form weiterer Linien. So entsteht allmählich eine Spannungsstruktur, ein Netz aus Energielinien.
Ich will mich nicht zu früh auf ausgeprägte Linienrichtungen festlegen; genauso will ich vorschnelle Bindungen vermeiden, das Liniengefüge solange als möglich gleichmäßig offen haltend zusammenwachsen lassen, die Verdichtung gleichförmig weiterführen. So ist in jedem Arbeitsstadium die Fläche gleichmäßig von Linien durchzogen. Diese Homogenität der Zeichenstruktur bleibt lange erhalten, nur partiell sind an wenigen Stellen erhöhte Linienkonzentrationen auszumachen.
Aus allen Richtungen gleichzeitig zusammenwachsend, verdichtet sich das Liniengitter. Auch wenn ich versuche, allzu individualistische Linienformungen zu unterdrücken, allzu prägnante Richtungsverläufe nicht sich herausbilden zu lassen- um eben die aufrecht zu er-haltende Homogenität nicht zu gefährden- so formen sich dennoch solche Linienzüge aus. Sie behaupten sich hartnäckig, sind nur schwer in ihrem Selbstbehauptungswillen zu stoppen. Als gleichsam selbstbewußte Figuren, Solisten, ragen sie aus dem Linienmeer heraus. Zu unterscheiden sind in dieser Gruppe der Individuen  Linien, welche in großem Bogen, in großzügiger Geste gesetzt sind  und Linien, die wohl in großzügigen Bahnen zu verlaufen scheinen, aber bei näherer Betrachtung aus kurzen Liniensegmenten zusammengefügt sind.
Bereits die ersten Linien geben ihrer Neigung nach, sich zu überschneiden. An diesen Überschneidungspunkten, Linienkreuzungen, bilden sich Knoten heraus, Orte erhöhter Liniendichte. Von diesen Sammelpunkten ausgehend, aber auch zu ihnen hinführend, verlaufen die Linien in antagonistischer Bewegung. Diese Zentrierpunkte fungieren als graphische Markierungen; sie dienen den Linien zur Orientierung, als Fluchtpunkte.
Es gibt Phasen im Arbeiten, da ist ein Heranwachsen des Liniennetzes kaum zu erkennen, der Arbeitsfluß scheint zu stocken. Manche Linien stehen beinahe unsichtbar auf dem Papier, nur eine unscheinbare Furche ist zu sehen. In diese Furche legen sich später hinzukommende Linien, die ihren Graphit dorthin in die Tiefe legen, was diese tieferen Stellen gesättigter, dunkler, erscheinen läßt.
Ein kritischer Arbeitsabschnitt ist dann erreicht, wenn die lineare Struktur bereits sehr fein zusammengewachsen ist. Die gleichmäßige, homogene Linienbedeckung erscheint in ihrer Uniformität bereits übervoll. Diese Fülle animiert nicht dazu, neue Linienformungen zu setzen. Mit fortschreitender Arbeit muß ich zusehends mit erhöhtem Druck auf die Hand zeichnen, da sich ansonsten die hinzuzufügenden Linien nicht mehr in die bereits graphitglatte Oberfläche des Papiers einschreiben lassen. Hier, an diesem Punkt angelangt, frage ich mich immer wieder: Weiterarbeiten oder Arbeit aufgeben? Es scheint so, als gäbe es Arbeiten, die strukturell so angelegt sind, daß sie sich nie vollenden lassen.
Formt sich die Struktur aus sich selbst heraus, sozusagen selbstständig weiterwachsend? Oder ist die von einem inneren Auge getragene, erahnte Vorstellung eines von Arbeitsbeginn weg existierenden Gesamtbildes bestimmend, leitend? Oder trifft beides zu: Vorstellungsbild und gleichzeitig heranwachsende Struktur?
Solche Arbeitskrisen, Unsicherheiten, verlangen eine Arbeitsunterbrechung. Es ist bisweilen leichter, nach einer Pause die Arbeit wieder aufzunehmen als eine beinahe vollendete
Zeichnung in ihrer Fertigstellung zu stoppen, um notwendige Distanz zur Arbeit zu gewinnen.
Wann ist die Zeichnung als vollendet anzusehen? Wann soll ich das Zeichnen beenden? Dann, wenn ich keine neue Spannungslinie mehr zeichnen kann, wenn ich dem bereits entstandenem Liniennetz keine Energie mehr zuführen kann. Dann, wenn eine fehlende Linie als weniger störend empfunden wird als eine imaginierte, noch zu zeichnende zusätzliche Linie. Am Ende des Zeichenprozesses ist die Zeichnung eine dicht verwobene Struktur, ein engmaschiges Linienkonzentrat. Das Handschriftliche der einzelnen Liniensetzungen ist übergegangen in die anonyme Masse der zahllosen Linien. Alle Linien sind miteinander verbunden, verwoben. Einzelne Linien aus dem Verbund herauszulösen ist nicht möglich, ohne damit das ganze Netz zerstören. Alles erscheint auf der Bildebene vergittert, kondensiert- Vordergrund verschmilzt mit Hintergrund, Komplexität bildet sich im Kleinen, formt sich im Großen.
Ich strebe in meinen Zeichnungen eine über das Graphisch- Lineare hinausgehende Formung an: Obschon mit einem graphisch- linearem Instrumentarium arbeitend, suche ich nach einer darüber hinausgehenden Formung. Ich möchte mich aus dem graphischen Netz der Linien lösen und mich in eine Dimension des Räumlichen retten. In der vollendeten Zeichnung erscheint etwas Neues, das Folge des langsamen, sich organischen Herauskristallisierens der Linienstrukturen ist. Es ist die Transformation des Aggregatzustandes des Linearen in den des Räumlichen. Die lineare Struktur ist nur Mittel, nicht Ziel, das vollendete Liniennetz mehr als die Anhäufung aller verwendeten Linienelemente. Von Knoten punkt zu Knotenpunkt, von Zentrum zu Zentrum- von Stern zu Stern- begleitet das betrachtende Auge die Bewegungen der in den Bildraum ausstrahlenden Linien.
P.W. XI. 2007

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